Kein alltägliches Handballspiel: HSG trifft auf Motor Zaporizhzhia

Ein etwas anderer Gegner-Check vor dem Spiel am SO, 17 Uhr, in der EmslandArena

05.10.2022

Zaporizhzhia ist in aller Munde. Der Name der Großstadt im Südosten der Ukraine – mit ursprünglich fast 750.000 Einwohnern größer als Frankfurt – taucht aktuell täglich in den Nachrichten auf. Grund dafür ist nicht nur die strategisch wichtige Lage im Russland-Ukraine-Krieg, sondern natürlich das örtliche Kernkraftwerk, das größte seiner Art in Europa. Dieses ist bereits seit Anfang März von russischen Truppen besetzt, seitdem ist die Nachrichtenlage um das Kraftwerk sehr unübersichtlich und kann an dieser Stelle kaum erörtert werden.

Eine der vier kürzlich von Russland annektierten Regionen ist ebenfalls nach ihrer größten Stadt Zaporizhzhia benannt – neben Luhansk, Donezk und Cherson. Während die russischen Besatzungstruppen ca. drei Viertel des Territoriums der Region kontrollieren, steht die Stadt Zaporizhzhia selbst – im Gegensatz zum bereits erwähnten KKW – nach wie vor unter ukrainischer Kontrolle. Das Referendum über den Beitritt zu Russland hat in der Stadt nicht stattgefunden, gleichwohl erheben die Russen nun Anspruch auf die gesamte Region – inklusive der Großstadt.

Dass in der Stadt am Dnjpr derzeit an Sport und insbesondere an Handball kaum zu denken ist, versteht sich somit von selbst. Dabei ist Saporischschja die Handball-Hauptstadt der Ukraine, und ihr Verein HK Motor Zaporizhzhia ist Rekordmeister des Landes, seit 2013 eroberte der Club in jedem Jahr Platz 1. Das Team, das auch die Mehrzahl der Nationalspieler gestellt hat bzw. stellt, nahm regelmäßig an der Handball Champions League teil und erreichte mehrmals das Achtelfinale. Im letzten Frühjahr zog sich Motor drei Spieltage vor Ende der Gruppenphase aus dem Wettbewerb zurück, auch der Spielbetrieb in der heimischen Liga wurde eingestellt. In der Zeit bis zum Sommer war dann das Nationalteam auch in Deutschland, absolvierte Freundschaftsspiele und nutzte diese für Solidaritätsaktionen für die Ukraine.

Zum Ende der vergangenen Saison kamen Überlegungen auf, die Existenz des Handballvereins Motor Zaporizhzhia durch die Aufnahme in eine ausländische Liga zu sichern. Ein Spielbetrieb in der Ukraine war aufgrund des Krieges nicht mehr möglich. Auch andere Länder waren im Gespräch, doch die Entscheidung fiel letztlich auf die 2. Liga in Deutschland. Diese wäre mit der ungeraden Zahl von 19 in die Saison gegangen, da sie anschießend ohnehin auf 18 Mannschaften reduziert werden sollte. Doch so übernahm Motor Zaporizhzhia den 20. Platz, womit keines der Teams mehr „spielfrei“ hatte. Bekanntermaßen werden die Ergebnisse gegen diese Mannschaft am Ende wieder aus der Tabelle herausgerechnet.

Die Zweitligavereine votierten mit großer Mehrheit ebenfalls für die Aufnahme der Ukrainer in die Liga, und viele weitere Formalitäten wurden geklärt. So werden die Spieler weiter vom Hauptsponsor des Vereins, einem ukrainischen Turbinenhersteller aus Zaporizhzhia, bezahlt – im schlimmsten Fall sollen die internationalen Handball-Verbände und die Bundesliga einspringen. Es fand sich auch gleich ein Heimspielort für das ukrainische Team, die Partien finden bei freiem Eintritt für alle Zuschauer im Düsseldorfer Castello statt. Nebenbei: Motor Zaporizhzhia spielt in dieser Saison nicht in der Champions League, sondern ist für die Gruppenphase der EHF European League gesetzt, die Ende Oktober beginnt.

Und damit kommen wir (endlich) zum bisherigen sportlichen Abschneiden des Teams in der 2. Handball-Bundesliga. Insgesamt elf Spieler, darunter einige Leistungsträger, hatten das Team des litauischen Trainers Gintaras Savukinas verlassen. Neben zwei externen Neuzugängen verstärkten Akteure aus dem eigenen Unterbau die Mannschaft, in der noch neun Spieler aus der vergangenen Saison dabei sind. Das Team bekam also zur neuen Saison ein ganz anderes Gesicht als zuletzt, was natürlich der mehr als problematischen Gesamtsituation geschuldet ist. 

Im Eröffnungsspiel unterlag Motor Zaporizhzhia um den erfahrenen Keeper Gennadiy Komok und Rückraum-Shooter Ihor Turchenko (schon 31/6 Tore) Bayer Dormagen mit 28:33. Es folgte ein Krimi beim VfL Lübeck-Schwartau, den die Gastgeber an der Ostsee mit 36:35 für sich entschieden. Und auch die dritte Partie ging verloren: TuSEM Essen gewann erst am Ende deutlich mit 30:22 (12:10). Alle drei Spiele waren hart umkämpft. Dass den Ukrainern also womöglich etwas geschenkt wird, weil die Punkte für den Auf- und Abstieg nicht zählen, kann wahrlich nicht behauptet werden. 

Und im vierten Saisonspiel klappte es dann auch für Motor Zaporizhzhia: Gegen Empor Rostock gelang im Düsseldorfer Castello ein 27:24-Sieg – obwohl die Gäste zur Mitte der zweiten Halbzeit noch mit +5 in Führung gelegen hatten. Am Montagabend setzte es für die Ukrainer dann jedoch die vierte Niederlage im fünften Spiel, und zwar wieder mit nur einem Tor Unterschied. Der verlustpunktfreie Tabellenführer Balingen-Weilstetten siegte trotz personeller Schwierigkeiten in eigener Halle mit 33:32. Motor-Trainer Savukinas zeigte sich anschließend enttäuscht, verwies jedoch auf die aktuelle schlimme Situation in der Ukraine bzw. speziell in und um Saporischschja. Seine Spieler hätten fraglos andere Dinge als Handball im Kopf.

Letzteres wollen auch wir bedenken, wenn es nun zum Duell unserer HSG Nordhorn-Lingen mit Motor Zaporizhzhia kommt. Lasst uns das Spiel in der EmslandArena in diesem Sinne gemeinsam zu einer gelungenen Veranstaltung machen, bei der neben dem sportlichen Wettstreit gerade auch die Solidarität mit den ukrainischen Akteuren und all ihren Landsleuten im Vordergrund steht.